Es ist zwar schon einige Zeit her, könnte aber genauso auch heute stattfinden. Scientology hatte Anfang 2007 gerade den „Sektenkasten“ in der Landeshauptstadt eröffnet, als der Journalist Fredy Gareis fünf Monate lang als Thorsten Brock Mitglied der Psychosekte wurde. Zwischen November 2007 und April 2008 immer dabei: Eine versteckte Kamera.
Was er dort erlebte, schilderte er in einem Betrag von Stern-TV …
Im Mai 2008 gab Gareis der Zeitschrift Stern ein von Sönke Wiese geführtes Interview dazu …
Herr Gareis, vor einigen Wochen haben Sie Scientology wieder verlassen. Akzeptiert die Sekte Ihren Ausstieg?
Überhaupt nicht. Ich bekomme noch immer täglich Anrufe. Das ist wie beim Angeln, mal geben sie etwas mehr Schnur und sind ganz verständnisvoll und freundlich. Und dann erhöhen sie wieder den Druck und die Frequenz der Anrufe.
Was will Scientology noch von Ihnen?
Ich soll unbedingt noch einmal in der Zentrale in Berlin vorbeischauen. Dort hofft man, mich doch noch umdrehen zu können. Inzwischen gehe ich aber nicht mehr an mein Telefon.
Scientology soll an Deutschland das größte Interesse haben.
Intern wird gesagt: „Wenn wir Berlin knacken, dann schaffen wir es überall.“ Hier ist man besonders ambitioniert. Deutschland gilt als das schwierigste Umfeld für die Sekte, nirgends gibt es größeren Gegenwind. Deshalb ist für Scientology ein Erfolg hierzulande auch wichtiger als in jedem anderen Land, das hätte einen enormen symbolischen Wert für die Organisation.
Ende März stieg in Berlin eine große Party mit rund 250 Scientologen. Stimmt es, dass keine andere europäische Niederlassung so viel Zulauf wie Berlin hat?
Da bin ich mir nicht sicher. Das kann auch Propaganda nach innen sein, um die Mitglieder zu motivieren. Die Kursräume, in die ich einen Blick werfen konnte, waren nie voll. Allerdings habe ich einige Neu-Mitglieder gesehen. Erschreckend war, wie viele Kinder in der Zentrale herumliefen. Richtig unheimlich fand ich es, wenn die Acht- bis Zehnjährigen dort an diese E-Meter angeschlossen und ausgefragt wurden.
Was ist die wichtigste Rekrutierungsmethode für Scientology?
Extrem wichtig sind die Stände auf der Straße. Dort werden an einem Tag bis zu 200 Kontakte gemacht, d.h. die bringen 200 Menschen täglich dazu, einen sogenannten Stresstest zu machen und Adressen zu hinterlassen.
Gibt es eine bestimmte Klientel, die auf diese Masche hereinfällt?
Es wäre ein großer Fehler zu glauben, dass z.B. nur labile Menschen in die Fänge der Sekte geraten. Scientologen versuchen, bei einem eine entscheidende Schwäche zu finden und dann eine Lösung anzubieten. Dafür ist grundsätzlich jeder anfällig, denn wer will nicht sein Leben verbessern?
Haben Sie auch an sich Veränderungen festgestellt, obwohl Sie von Anfang an nur zu Recherchezwecke bei Scientology waren?
Bei mir hat sich zu meinem eigenen Erstaunen ein Wettbewerbsgedanke entwickelt: Ich ertappte mich dabei, auch diese blöde „Brücke der Erleuchtung“ erreichen zu wollen. Nach den Kursen fragte ich mich manchmal: „Verdammt, warum bin ich noch nicht höher gekommen?“ Außerdem übernimmt man irgendwann diese typische Propagandasprache: Zum Schluss habe ich auch privat von „Kirche“ und „Religion“ gesprochen – obwohl ich weiß, dass die Begriffe nicht zutreffen.
Haben Sie in den Kursen, die Sie bei Scientology belegten, etwas Sinnvolles gelernt?
Da werden überwiegend Banalitäten verbreitet, gespickt mit Lektionen wie „Lass Dich kontrollieren“, die natürlich im Sinne der Organisation sind. Ich kann verstehen, wenn diese Kurse attraktiv auf manche Menschen wirken, weil sie auf ein besseres Leben abzielen. Die Kosten sind anfangs verhältnismäßig niedrig und steigen dann kräftig. Man muss eine Menge Geld und Zeit investieren, um auf der „Brücke der Erleuchtung“ voranzukommen.
Man wollte Ihnen weismachen, dass sie später einmal Krankheiten wie Krebs heilen können?
Ja, man hat mir auch voller Ernst erzählt, dass ich ab einem gewissen Status ins All fliegen kann. Man müsse ja nicht nur die Erdenbürger erlösen, sondern auch Milliarden von Außerirdischen.
Aber die Anhänger von heute glauben doch nicht mehr wirklich an die Geschichten des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard, demzufolge ein intergalaktischer Herrscher mit dem Namen Xenu vor Millionen von Jahren sogenannte Thetane mit Wasserstoffbomben in die Luft gejagt hat?
Lachen Sie nicht, das ist unheimlich. Dieser Gründungsmythos soll der Organisation wohl einen religiösen Anstrich geben. Daran glauben die wirklich, auch wenn es keiner Logik folgt. Scientologen können ihren Verstand völlig ausschalten, funktionieren wie Roboter und sind immun gegen jede Kritik oder skeptische Fragen. Zu Xenu allerdings kann Ihnen die Mehrheit der Mitglieder nichts Näheres sagen, weil sie noch nicht den Status erlangt haben, mit dem sie in dieses Wissen eingeweiht werden.
In einem Interview mit stern TV hat die deutsche Scientology-Pressesprecherin gesagt: „Wir werden mit Sicherheit nicht an Menschen herantreten und behaupten, wir können heilen.“
Die interne und die externe Kommunikation ist komplett unterschiedlich. Ein weiteres Beispiel: Offiziell strebt Scientology keinen Einfluss in der Politik an – aber intern heißt es, man müsse „Straßen in den Bundestag bauen“. Bei Scientology hat man mir sogar stolz erzählt, dass man schon wichtige Politiker gewonnen hätte, die würden nur noch auf ein Signal warten, um sich öffentlich zu bekennen.
Scientology ist bekannt dafür, nicht gerade zimperlich mit Kritikern umzugehen. Was befürchten Sie nach Veröffentlichung Ihrer Geschichte bei Stern-TV und im Stern?
Gewöhnlich geht die Organisation aggressiv in einen persönlichen Angriff über. Vielleicht wird man versuchen, mich zu diffamieren, vielleicht hat man aus den fünf Monaten Erkenntnisse über mich, die sich für eine öffentliche Schmutzwäsche eignen. Andererseits böte sich jetzt die Gelegenheit für eine kritische Auseinandersetzung. Ich glaube, Scientology wird hierzulande nicht allzu großen Ärger in der Öffentlichkeit riskieren wollen. Dafür ist der Standort Deutschland einfach zu wichtig.
Ilse Hruby führte ebenfalls ein Interview mit Fredy Gareis …
Ihr Vorhaben in die Zentrale der Scientology Organisation zu gehen und sozusagen „probeweise“ Scientologe zu werden, war ja geplant. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Es hatte mich einfach geärgert, dass einige Qualitätsmedien einfach mal durch die neue Repräsentanz spaziert sind, sich von der Sprecherin haben rumführen lassen und dann eine ganze Seite vollgeschrieben haben. Das kann man schon machen. Aber da muss irgendwann mehr kommen. Scientology wirkt auf den ersten Blick harmlos, da muss man schon eintauchen.
Welches Gefühl hatten Sie, als Sie durch die Eingangstüre gegangen sind?
Ich war sehr unsicher, was passieren würde. Wie schnell man reingezogen wird, oder wie lange man das aushält. Der erste Eindruck war, dass die Leute dort extrem freundlich waren, ich aber auch schnell von einer Station zur anderen geführt werden sollte, um dann unverzüglich einen Kurs zu bezahlen und anzufangen.
Was dachten Sie nach dem ersten Blick auf die Kursmaterialien?
Was für ein billiger Quatsch. Und dafür habe ich jetzt Geld gezahlt.
In der Scientology-PR gilt offiziell „Wahr ist, was für Dich wahr ist“. Konnten Sie dies so erleben, oder wurde bei Zweifel oder Kritik behauptet, Sie hätten etwas „nicht verstanden“?
Na klar. Jedwede Kritik glitt ab und wurde umgelenkt. Eine Diskussion um Inhalte gab es nicht. Es wurde gesagt, dass es schon für mich „real“ werden würde.
Wurde seitens der Organisation auch nach Ihrer Familie gefragt? Z-B. über deren Einstellung zu Ihrer neuen „Religion“ oder über den finanziellen Hintergrund der Eltern und ggf. auch der der Großeltern?
Natürlich. In einem zehnseitigen Fragebogen wurde nach dem Beruf der Eltern ausgefragt und nach ihrer Einstellung Scientology gegenüber.
Wurde Ihnen nahegelegt, auch Familienmitglieder oder Leute aus Ihrem Freundeskreis für Scientology zu begeistern bzw. für Scientology zu werben?
Ja. Darüber hinaus gab dafür extra einen Kurs. Gutes Rekrutierungsfeld für die Scientologen.
Was kann man noch abschließend sagen?
Jeder Mensch will Teil einer Gemeinschaft sein, das Gefühl haben zu etwas höherem zu gehören oder besonders zu sein. Dazu lassen sich viele Menschen leicht führen und sind konfliktscheu. Das ist per se nichts Schlechtes. Im Gegenteil, denn das heisst auch, dass viele Menschen sehr leicht Vertrauen fassen und an das Gute glauben. Nur: Scientology weiss über all das Bescheid und nutzt es schamlos aus. In die Fänge von Scientology zu geraten kann jedem passieren, da sie immer versuchen, den Finger in persönliche Schwächen zu legen und daraufhin eine Besserung anbieten.
Niemand sollte so arrogant sein, zu denken, dass die einen nicht kriegen können. Scientology ist wie der Gegenspieler in einem James-Bond-Film: Größenwahnsinnig in Auftreten und Tätigkeiten – und dennoch Herr über eine funktionierende, weltumspannende Struktur. Doch je mehr Informationen die Menschen über diese Organisation haben, desto besser.
Das Internet ist, wie man auch durch „Anonymous“ sieht, ein kraftvolles Instrument. Wir müssen Scientology immer weiter beobachten, denn sie werden nicht einfach aufhören. In Deutschland sind wir da noch gut aufgestellt, würde ich sagen, vor allem weil der Verfassungsschutz Scientology beobachtet, aber was ist mit Ländern, die noch keine Erfahrung mit solcherlei Organisationen haben, wie zum Beispiel China? Oder Afrika als Kontinent, ebenfalls ein extrem wichtiges Missionsgebiet für die Scientologen. Für Außenstehende hören sich Interna aus dieser Organisation bestimmt absurd und teilweise unglaublich an. Eines muss jedoch klar sein: Es gibt da draußen finstere Kräfte, und Scientology ist eine davon.
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